Mittwoch, 26. September 2007

Attacke

Geisteskämpfer an der Front

In den Berichten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und anderer Medien über Rudolf Steiner und die Waldorfschulen (vgl. Keine Prügel, kein Rassismus) sieht der Gesellschafter und Redakteur der Zeitschrift Info3, Jens Heisterkamp, "das Verdienst einer umtriebigen Clique, die versteht, wie Affekt-Journalismus funktioniert" (Info3, 4.9.2007) und damit hat er recht: Manche Medienerzeugnisse wirken wie der Versuch einer diffamierenden Kampagne.

Die Wissenschaftler und Journalisten Jana, Husmann und Kastein sind für Heisterkamp in puncto Rudolf Steiner und Waldorfpädagogik "Krypto-Informanten", mit deren Hilfe eine "Attacke gegen Waldorf in der FAZ-Sonntagszeitung" inszeniert worden sei. Der "angebliche Rassismus" habe wieder einmal dafür herhalten müssen, die Waldorfschulen in ein schlechtes Licht zu rücken, die tatsächlichen "Erfolge der Anthroposophie auf breiter Front" würden dagegen ignoriert (Info3, 8.7.2007). Derweil hat in den Niederlanden schon vor Jahren eine von Anthroposophen beauftragte Untersuchungskommission in einer umfangreichen Studie selbstkritisch eingeräumt, dass Steiners Oeuvre diskriminierende Passagen enthalte.

Wer jetzt dennoch weiterhin Kritik übt, der liegt genau richtig, denn die Frage ist: Haben die verantwortlichen Anthroposophen aus der Studie Konsequenzen gezogen? Die Kommission gab den Anthroposophen nämlich eine Empfehlung mit auf den Weg, die da lautete, besagte Stellen aus der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe künftig nur noch kommentiert zu veröffentlichen.

Was Heisterkamp unter Erfolgen der Anthroposophie versteht, ist seiner Stellungnahme Gegen die Trennung von Glauben und Wissen zu entnehmen:

"Kulturkampf-Stimmung im Wiesbadener Landtag: aufgebrachte Abgeordnete von den Grünen und der SPD sehen den Untergang des Abendlandes kommen, das Ende von Aufklärung und Demokratie und des säkularen Staates. Das deutsche Feuilleton steht Kopf. Ging es etwa um den geplanten Bau einer Moschee, um Kopftücher in Schulen oder die Ausbreitung islamisierten Parallelgesellschaften in Deutschland? Mitnichten. Am Pranger stand vielmehr die Hessische Kulturministerin Karin Wolff mit ihrem Plädoyer dafür, im Biologieunterricht auch die biblische Schöpfungsgeschichte zu diskutieren. Mit dem Eifer von Glaubenskriegern warfen die Hessischen Oppositionsparteien daraufhin Parolen ins Feld wie die, dass es keine "Vermischung" von Glauben und Wissen und keinen Rückfall in die Zeiten vor der Trennung von Wissenschaft und Religion geben dürfe. Genau darum aber geht es – die Zeiten dieser Trennung sind nämlich vorbei."

Die "Zeiten dieser Trennung" sollte es an Waldorfschulen im Idealfall nie gegeben haben. An staatlichen Schulen sind sie keineswegs vorbei. Dort sind Radsport und Geschichte auch weiterhin zwei unterschiedliche Lehrfächer. Heisterkamp - so könnte man meinen - verwechselt Erfolg und Wunschdenken. Denn es ist gar nicht so einfach, gegenüber den herrschenden wissenschaftlichen Konventionen einen abweichenden Standpunkt zu behaupten. So gehen die Waldorfschulen in ihrer Unterrichtspraxis vor allem in der Oberstufe doch oft den bequemen, weil konventionellen Weg der Wissensvermittlung. Zumindest soll aber nicht das bereits erreichte wieder verspielt werden. Insbesondere sind die Waldorfschulen davor zu bewahren, in die Falle vermeintlicher ach so rationaler, neutraler und ach so wahrer Wissenschaftlichkeit zu geraten.

An anderer Stelle sehen sich die Anthroposophen aufgrund der Zeitungsberichte genötigt, einen Artikel der Zeitschrift Das Goetheanum vom 1. September 2006 erneut zu publizieren. Darin macht sich der Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg, Detlef Hardorp, Gedanken über Unzeitgemäßes Vokabular:

"Ist es nicht an der Zeit, sich über angemessene und öffentlichkeitswirksame Stellungnahmen Gedanken zu machen? Die Anthroposophische Gesellschaft in den Niederlanden hat das im Kontext des heutigen niederländischen Strafrechts bereits vor Jahren getan (‹Goetheanum› Nr. 15/2000), mit der Wirkung, daß dort die Rassismusvorwürfe so gut wie aufhörten."

Von den Niederländern lernen, heißt Siegen lernen. Hardorp empfiehlt deshalb, dass sich die deutschen Anthroposophen von dem Vokabular Steiners partiell distanzieren sollten, weil die Rassenterminologie heute vorwiegend von Rechtsextremisten verwendet würde und in der Öffentlichkeit gar nicht gut ankäme. Das ist zwar richtig, ob aber eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit der Anthroposophen dazu führen würde, dass "ein Zitieren von Halbsätzen Steiners mit diesen Ausdrücken seine journalistische Brisanz weitgehend verlöre, darf bezweifelt werden. Denn es geht auch um rassistische Vorstellungen bei Steiner, nicht nur um Vokabular, von welchem sich die Anthroposophen getrost verabschieden dürfen.

Unglücklicherweise fehlt in der deutschen anthroposophischen Bewegung eine Instanz, die Willens und in der Lage wäre, dem diffamierenden "Zitieren von Halbsätzen" wirksam zu begegnen. Allerdings meiden die Anthroposophen schon lange das eindeutige Vokabular. Auch sie haben sich dem politisch korrekten Mainstream angepasst. Hardorp lässt insofern Zweifel daran aufkommen, ob es den Anthroposophen auch um eine inhaltliche Revision besagter rassistischer Passagen geht oder lediglich um eine sprachliche Innovation auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. Eine offizielle Erklärung von anthroposophischer Seite würde, so die vermutlich unter vielen Anthroposophen gehegte Hoffnung, als ein symbolischer Akt, auf den sich alle Anthroposophen fortan berufen könnten, der lästigen Kritik ein Ende bereiten.

"Sieht man vom unzeitgemäßen Vokabular einmal ab, findet man bei Steiner interessante Charakterisierungsversuche kultureller Differenzen, die er einerseits zu Erdeinwirkungen und andererseits zu kosmischen Typologien in Beziehung setzt."

Das klingt doch schon ganz anders als "sauberer Radsport" oder "Wurzelrassen" (vgl. Keine Prügel, kein Rassismus). Für die nicht anthroposophische Öffentlichkeit sind "interessante Charakterisierungsversuche kultureller Differenzen" allemal leichter eingänglich als das besondere "Triebleben" der "Neger" oder Velozipedisten. Es meint nur im anthroposophischen Sprachgebrauch genau dasselbe. Warum zum Kuckuck sollte man denn auch realexistierende kulturelle Differenzen nicht als solche anerkennen und warum sollte man sie nicht auch charakterisieren und - oh, Schreck! - warum nicht auch beurteilen oder gar bewerten können?

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