Freitag, 14. September 2007

Worauf man sich einlässt

Vorbeischauen und Weitermachen

In dieser Lektion des NWA'schen Fernstudienkurses Anthroposophie wurde den Lesern vermittelt, wie die Anthroposophen mit für sie relevanten, aber unbequemen wissenschaftlichen Ergebnissen umgehen (nämlich gar nicht) und welche Relevanz es für Waldorfschulen hat, wenn Mitglieder des Lehrerkollegiums Rechtsextremisten sind (keine, zumindest solange es nicht ruchbar wird). Fazit? Babyleicht: Anthros sind Opportunisten. Es ist ja sooo einfach!

Ist es wirklich so einfach?

Im ersten Argumentationsstrang richtet das NWA seinen Blick auf das neu erschienene, knapp 2000 Seiten umfassende Werk des Berliner Historikers Helmut Zander Anthroposophie in Deutschland, dessen Inhalt teilweise die Habilitationsschrift dieses Wissenschaftlers bildet. Wie reagieren Anthros, wenn sie mit solch einem anerkannt wissenschaftlichen Werk eines externen Autors konfrontiert werden? Das NWA hat offensichtlich eifrig recherchiert. Nebenbei erfährt man hier, dass es sogar die anthroposophische Wochenschrift Das Goetheanum liest, vielleicht sogar abonniert hat. Umso peinlicher berührt ist man, wenn man sich überlegt, welcher Art die beiden Trümpfe sind, mit denen das NWA nun schweißtriefend, aber freudestrahlend seine These über diese verachtenswerten, scheinheiligen, feigen Spinner zu untermauern sucht.

Dass die anthroposophischen Buchhandlungen Zanders Buch bannen würden, konnte es zwar nicht feststellen, aber immerhin fand das NWA bei dem Buchhändler Anthro-libri den Hinweis "Das Buch setzt sich mit der Geschichte auseinander. Insofern es sich um die inneren und inhaltlichen Aspekte der Anthroposophie handelt, hat der Autor eine distanzierte bis ablehnende Haltung". Na und? Zander sagt dies ja auch selber in seinem Buch. Warum soll eine anthroposophische Buchhandlung denn darauf nicht hinweisen?

Ganz nebenbei, sozusagen im Vorübergehen, frech, aber ohne nähere Erläuterung, pinkelt das NWA den anthroposophischen Buchhändlern noch an die Ladentüre. Wie immer: Es wird mit Andeutungen gearbeitet. Die hinterlassene Duftmarke wird beim gedankenverloren vorbeieilenden Passanten ja schon den beabsichtigten Effekt haben, auch wenn die Substanz des Ganzen eher mit der Methodik des Verursachers zu tun hat, als mit dem Angepinkelten. Das NWA gibt vor, es sei erstaunlich, dass anthroposophische Buchhändler Zander in ihr Sortiment aufgenommen hätten, denn "ansonsten" seien dort "wissenschaftliche Bücher zum Thema Anthroposophie und Waldorfschulen nicht zu finden".

Welche angeblich wissenschaftlichen Bücher meint es denn nun? Es ist zu vermuten, dass es solche Veröffentlichungen meint, wie etwa diejenigen eines Peter Bierl, der die "Anthroposophie in Deutschland" (nein, nicht Zanders Buch, sondern Zanders Untersuchungsgegenstand) sofort verbieten würde, wenn er könnte , der die "laxe Haltung der Behörden" gegenüber der Waldorfpädagogik bedauert , also – nach Bierls Gesellschaftsverständnis zu vermuten - die Waldorfpädagogen am liebsten mit einem Gutschein fürs Umerziehungslager ausstatten würde.

Der Wissenschaftsbegriff des NWAs ist demnach vermutlich diskutierbar, die Wissenschaftlichkeit Zanders hingegen ist es nicht und wird auch von niemandem angezweifelt. Aus diesem Grund hat das NWA in den offiziellen Verlautbarungen, in den üblicherweise zu konsultierenden wichtigen anthroposophischen Zeitschriften auch nichts gefunden, das es anführen könnte, um die Anthroposophen bezüglich ihrer Reaktion auf den Zander zu diskreditieren. Im Gegenteil, Zanders Werk wird differenziert betrachtet, begrüßt, der Diskurs gesucht. Und im Gegenzug wäre Zanders Werk ohne anthroposophische Mithilfe, ohne die Nutzung anthroposophischer Archive und Bibliotheken in dieser Form auch gar nicht möglich gewesen. Und das, obwohl der Wissenschaftler nie verschwiegen hatte, dass er zu den eigentlichen Inhalten der Anthroposophie ein ganz anderes Verhältnis hat, als es die Anthroposophen haben.

Immerhin hat das NWA einen Leserbrief in Das Goetheanum entdeckt, der ihm nun offizielle Entgleisungen der Anthroposophenschaft ersetzen soll. Ein Leserbrief! Hach wie wunderbar könnte man zum Beispiel die Haltung der katholischen Kirche zu gesellschaftlichen Fragen kritisieren, wenn es genügen könnte, als Beweis für deren Haltung einen Leserbrief im katholischen Sonntagsblatt vorzuführen. Es ist schlichtweg lächerlich. Der Leserbriefschreiber möchte nicht zu viel interne Öffentlichkeit für Zander, also nach dem Vorbild der drei Affen: vorbeischauen, weitermachen. Eine Einzelmeinung. Andere Anthroposophen suchen den Diskurs. Zander wird zu Veranstaltungen eingeladen. Er wird gelesen. Nicht von allen Anthroposophen, ok. Es wäre aber auch eine etwas überzogene Haltung, zu erwarten, dass sich nun alle, die sich mit Anthroposophie beschäftigen, durch ein 2000-seitiges wissenschaftliches Werk hindurchquälen. Hat das NWA - dieser Betreiber eines Blogs über Anthroposophie - das Werk denn überhaupt schon gelesen? Na also.

Anthroposophen würden ja überhaupt wenig lesen, so versucht das NWA unvermittelt durch eine Passage aus einem Buch des Psychologen Fritz Beckmannshagen zu belegen. Diese an sich erheiternde Feststellung bildet jedoch nur den Auftakt zum nächsten Argumentationsstrang.
Denn schließlich könne ja nur dieses Übel des Nicht-Lesens die Ursache dafür sein, dass Andreas Molaus Kollegen an der Braunschweiger Waldorfschule angeblich (was für eine Unterstellung) nichts davon gewusst hätten, dass ihr Kollege eine rechtsextreme Vergangenheit hatte. Hatte doch Molau vor seiner Zeit als Waldorflehrer unter seinem echten Namen in rechtskonservativen und rechtsextremen Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Wie also war es möglich gewesen, reflektiert ein nachdenkliches NWA, dass er diesen biografischen Hintergrund verschleierte, wenn sich doch die Kollegen anhand dieser Veröffentlichungen über seine Einstellung schlau machen konnten. Da wohl jeder weiß, dass Anthroposophen durchaus belesen sind, erzeugt das NWA geschickt den Eindruck (ohne sich jedoch dieser Verleumdung direkt zu verpflichten): Die Kollegen haben es eben doch gewusst, und erst als das ganze öffentlich wurden, haben sie sich von Molau geschickt und öffentlichwirksam mit Paukenschlag getrennt.

Das NWA bleibt jedoch eine Erklärung schuldig, wie es darauf kommt, dass man von den Lehrern einer Waldorfschule erwarten könnte, dass sie in alten rechtsextremen Zeitungen schmökern. Wer auch nur ein bisschen weiß, wie der Alltag von Waldorflehrern aussieht, kann sich denken, dass Waldorflehrern neben ihren beruflichen Verpflichtungen nur ganz wenig Zeit dafür übrig bleibt, in irgendwelche Themengebiete hineinzuschnuppern, die schlichtweg nicht zu den zu erwartenden Interessengebieten von Waldorflehrern gehören. Warum hat denn kein Externer die Schule darauf hingewiesen? So offensichtlich war der biografische Hintergrund des Lehrers wohl doch nicht. Bis 2004 war er tatsächlich ein "Schläfer". Dass sich die Schule erst nach Bekanntwerden seines Hintergrundes von ihm trennte, und nicht schon davor, wird man ihr nicht vorwerfen können, denn eine andere Reihenfolge widerspricht dem Gesetz der Logik. Die außerordentliche Heftigkeit der Distanzierung spricht Bände und zeigt, dass die Betroffenheit in der Schule echt war, und nicht – wie das NWA wieder einmal andeutet – nur ein raffiniertes PR-Manöver.

Und an dieser Stelle enden wir, denn wir haben das eintönige Plattland, in das uns unser NWA geführt hatte, und das es "Anthroposophie" nennt, wieder verlassen. Endlich sind wir wieder in dieser unübersichtlichen, unwegsamen, schwer zu deutenden Landschaft, die Anthroposophie heißt. Wie Michael Mentzel sagt: "Ganz schön kompliziert".

Kompliziert? Ja! Das ist spannend, das ist cool – Wow! Wir lieben das!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Zander, Helmut (2008): Anthroposophie in Deutschland : Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884 - 1945 - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Seit ca. 30 Jahren haben sich mir viele Fragen aufgetürmt, die Zander mir (endlich) beantwortet hat.

Das vermutlich Beste, was ich bisher in meiner Lesebiographie durchgearbeitet habe.

Volker H. Schendel
Ministerialrat a.D.
Präsident der Stiftung
Astrologie und Erkenntnis (SAE)
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